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Schaffung eines „Ortes der Erinnerung“ an die Ermordung von Menschen mit psychischer Erkrankung der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen

Stellungnahme der SPD-Fraktion zu TOP 9 der Sitzung des Stadtrates am 28.03.2019 von Gisela Niclas

Die SPD-Fraktion begrüßt die heutige Vorlage und wird ihr zustimmen.

Mit dieser Entscheidung vier Jahre nach dem einstimmigen Auftragsbeschluss im Januar 2015 stellt der Stadtrat endgültig die Weichen, ein düsteres Kapitel der Geschichte der Stadt aber auch der gesamten Region umfassend aufzuarbeiten und in unsere Gegenwart und Zukunft zu integrieren.

In einer Zeit, in der sich in unserer Gesellschaft einerseits die demokratischen Kräfte in der Politik und der Großteil der Bürgerinnen und Bürger zu Integration und Inklusion bekennen, andererseits aber rechtsextreme, demokratiefeindliche Kräfte, die auf Ausgrenzung und Abschottung setzen, bedenklichen Zulauf erhalten, ist der heutige Beschluss ein wichtiges Signal für Respekt und Achtung der Menschenwürde. 

Gestatten sie mir gleich an dieser Stelle zwei persönliche Bemerkungen:

  • Beim Empfang der SPD-Stadtrats- und Bezirkstagsfraktion Fraktionen zu meinem 65. Geburtstag habe ich hier im Ratssaal im September 2013 nach einer beeindruckenden Rede zum Thema Inklusion des von mir sehr geschätzten Dr. Hans-Ludwig Siemen einen Wunsch ausgesprochen: In Erlangen einen Erinnerungsort an die Euthanasiemorde zu schaffen und dafür die Hupfla zu erhalten. Ich war und bin mir mit ihm und vor allem mit unserer Ehrenbürgerin Dinah Radtke einig: Wenn wir Gegenwart und Zukunft einer inklusiven Gesellschaft mit Respekt vor der Würde eines jeden Menschen verlässlich gestalten wollen, müssen wir die nur wenige Jahrzehnte zurückliegende Geschichte umfassend aufarbeiten, in der – nicht nur – Menschen mit Behinderung das Lebensrecht abgesprochen und sie mit gnadenloser Konsequenz vernichtet, ermordet wurden.
  • Für mich war es eine Sternstunde in meiner kommunalpolitischen Arbeit, gemeinsam mit Dinah Radtke und Hanns-Ludwig Siemen den Antrag formulieren zu dürfen, den anschließend alle Stadtratsfraktionen unseres STR-Gremiums unterstützt und im Januar 2015 einstimmig angenommen haben. Beiden danke ich persönlich ganz herzlich. 

Die heute in der Presse veröffentlichte Vorstellung von Professor Frewer, die Hupfla als Weltkulturerbe gemeinsam mit Nürnberg bei der Unesco als Weltkulturerbe zu bewerben,  ist eine äußerst kühne Idee, die sicherlich zu diskutieren ist – wo und mit welchem Ergebnis auch immer; unabhängig von der Realisierungschance ist aber eines festzustellen: Das Projekt des Erinnerungs- und Lernortes geht über die Stadtgrenzen und die Friedrich-Alexander-Universität weit hinaus.

Es betrifft ebenso den Bezirk Mittelfranken mit seinen Bezirkskliniken, Kommunen als Heimatgemeinden ermordeter Menschen und eine Vielzahl von sozialen Einrichtungen in der gesamten Region, die vor der T4-Vernichtungsaktion Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen betreut und gepflegt und die Deportation und Vernichtung über den Sammelort Erlangen zugelassen haben. Ich habe den einstimmigen STR-Beschluss von 2015 als Ansporn genommen, mich auch als Bezirksrätin zusammen mit der SPD-Fraktion im Bezirkstag von Mittelfranken dafür einzusetzen, dieses Projekt zu unterstützen. Gemeinsam mit der CSU-Fraktion und allen weiteren Fraktionen haben wir im letzten Jahr mehrere Beschlüsse gefasst mit dem Ergebnis: Der Bezirk Mittelfranken unterstützt das Projekt, der Bezirk und seine Kliniken arbeiten im Projektbeirat mit, Bezirk und Kliniken finanzieren gemeinsam mit der Stadt und der Universität ein Drittel der Kosten für die wissenschaftliche Forschungsarbeit von Professor Leven vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der FAU.  

Der Beschluss von 2015 und die Arbeit des Projektbeirats haben dafür gesorgt, dass inzwischen eine breite öffentliche Debatte stattfindet. Das ist gut so. Ein starker Fokus liegt dabei auf dem Erhalt des gesamten noch vorhandenen Gebäudekomplexes der Hupfla mit der Begründung, dass Erinnerung im authentischen Gebäude am wirksamsten ist. Noch vor weniger als einem halben Jahr hatten wir vom Abriss des ganzen Gebäudes auszugehen. Unserem Oberbürgermeister ist es vor dem Hintergrund der Debatte im Dialog gelungen, mit der FAU einen Kompromiss zu finden: Ein Teil des Hupfla bleibt erhalten. Erinnerung kann und wird an authentischer Stelle verortet werden. Für den Denkmalschutz ist das sicher nicht zufriedenstellend. Was die Debatte bei aller Kontroverse über diesen Punkt aber auszeichnet, ist der breite Konsens über die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Euthanasiemorde und die für alle Bürgerinnen und Bürger zugängliche Erinnerung daran. Darin sehe ich eine wichtige Voraussetzung, den künftigen Erinnerungs- und Lernort nicht auf ein Denkmalschutz-Thema zu reduzieren.

Der Weg, der im heutigen Beschlusstext beschrieben wird, war nur möglich, weil viele ihn unterstützten und weiter unterstützen werden mit Impulsen, Ideen, Arbeit, Kooperationsbereitschaft und Finanzmitteln, aber auch mit Herzblut und langem Atem:

Im Namen der SPD-Fraktion danke ich daher

  • unserer Ehrenbürgerin Dinah Radtke und der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung
  • Dr. Hans Ludwig Siemen, früher Psychotherapeut am Bezirksklinikum Erlangen und Begründer der Wabe,
  • allen Mitgliedern des Projektbeirates 
  • unserem Oberbürgermeister Dr. Janik und der Friedrich-Alexander-Universität, namentlich dem ärztlichen Direktor der Universitätskliniken, Herrn Professor Iro für das gemeinsame Bemühen um die Schaffung des Erinnerungs- und Lernortes
  • Professor Leven, Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der FAU,   
  • Herrn Dr. Jakob, dem Leiter unseres Erlanger Stadtarchivs

Ich danke aber auch

  • allen, die sich bisher bereits in Mittelfranken an ihren jeweiligen Wirkungsorten sowie in psychiatrischen Kliniken, sozialen Verbänden und Einrichtungen der Behindertenhilfe für Erinnerung und Gedenken an die ermordeten Menschen eingesetzt haben,
  • allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich in unserer Erlanger Stadtgesellschaft an der Diskussion beteiligen und sich auch künftig mit einbringen werden und 
  • der Presse für ihre ausführliche Berichterstattung

Dokumentation und Gestaltung des Erinnerungs- und Lernortes sollen nicht nur mahnen, sie sollen Impulse setzen zum Nachdenken über das vergangene Unfassbare, aber auch zur Reflexion über das eugenische Denken der Gegenwart. Wir alle sind es den Opfern von damals schuldig.

Daher zum Schluss ein Zitat aus dem Nachwort von Cranach aus der Dokumentation:

Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Herausgeber)

Psychiatrie im Nationalsozialismus – Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945; 2. Auflage, München 2012

Hier heißt es:

„Wir haben bei der Erstellung dieser Dokumentation in den einzelnen Kliniken nicht nur objektiv historisches Material gesichtet und ausgewertet. Spätestens bei der Durchsicht der einzelnen Krankengeschichten, angesichts eines konkreten, individuellen Schicksals, brach die auferlegte Zurückhaltung zusammen, und Gefühle der Trauer, des Mitleids, der Scham und der Wut stellten sich ein. Und dazu Fragen, Fragen über Fragen. Wie konnte so etwas passieren? Eine mittlerweile umfangreiche Literatur hat dazu noch keine umfassenden Antworten gefunden. Auch wir haben bei unseren Recherchen lernen müssen, daß die Täter und Mitläufer meist anerkannte, gebildete Menschen waren, ja gute Ärzte zunächst, und es ist nicht erkennbar, was sie zu Mördern hat werden lassen…..Diese Dokumentation ist ein Versuch, öffentlich kundzutun, daß die Psychiatrie die damaligen Ereignisse umfassend verurteilt und eine Zäsur zu ihnen schaffen will. Die Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit soll uns aber auch helfen, unseren Standort zu bestimmen in einer Zeit, in der alte Überlegungen in neuen Gewändern wieder auftauchen….“