In der diesjährigen Schluss-Sitzung des Erlanger Stadtrats hat Barbara Pfister die Rede im Namen des Gesamtstadtrats gehalten. Das Manuskript der Rede ist nachfolgend dokumentiert, als Video ist die Rede bei Facebook verfügbar.Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
am Ende unseres Sitzungsjahres steht mit der jährlich wechselnden Rede eines Stadtratsmitglieds ein Wortbeitrag, der jenseits der mal kontroversen, mal von Konsens geprägten Debatten um kleinere und größere Themen unserer Stadt unsere Arbeit in einen größeren Rahmen stellen soll. Etwas Abstand kann uns dabei helfen, das Wesentliche, ungelöste Fragen – und auch unsere Gemeinsamkeiten – zu erkennen.
Ich möchte versuchen, dazu einen Beitrag zu leisten, indem ich eine Reihe von Widersprüchen benenne, die den Rahmen für unsere Arbeit bilden, auch wenn wir uns ihrer vielleicht nicht immer bewusst sind. Dabei geht es mir nicht um den Widerspruch zwischen der wachsenden Komplexität der Themen, mit denen wir uns beschäftigen und den vielfach schwierigen Bedingungen, unter denen wir unser politisches Ehrenamt ausüben. Ich meine vielmehr zum einen ganz grundsätzlich die Tatsache, dass wir alle uns nach Kräften bemühen, die Lebensbedingungen und die Zukunftsperspektiven unserer Stadt zu verbessern und dabei gerade auch in diesem Jahr eine Reihe beachtlicher Fortschritte erzielt haben, während der Blick auf die Welt, Europa und unser Land zugleich Entwicklungen zeigt, die in ihrer Wucht und Unberechenbarkeit unsere Bemühungen zunichte zu machen drohen. Die Auswirkungen von Kriegen, der enormen Kluft zwischen armen und reichen Ländern, des Klimawandels und des Erstarkens von Nationalismus und Intoleranz machen nicht vor den Toren Erlangens halt. Dabei nicht den Mut zu verlieren und uns weiter um kleine, aber wichtige Veränderungen zu bemühen, fällt nicht immer leicht. Ebenso wenig leicht ist es, zuzugeben, dass wir auf viele heikle Fragen und Zielkonflikte, die uns bei den Themen vor Ort begegnen, keine schnelle Antwort geben können. Dies möchte ich an vier Themenfeldern näher aufzeigen.
1. Demokratie und Beteiligung:
Ich bin dankbar dafür, dass wir in unserem politischen Engagement den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit (an dieser Stelle ein aufrichtiger Dank an die Erlanger Nachrichten für ihre Unterstützung der Meinungsbildung in der Stadt) wie anderer demokratischer Grundrechte genießen, während weltweit Meinungsvielfalt und Menschenrechte immer stärker unter Druck geraten – wie zum Beispiel in unserer Partnerstadt Besiktas. Das 30-jährige Jubiläum unserer Partnerschaft mit Jena hat uns an die große Errungenschaft erinnert, in einem demokratischen Staat zu leben, während Rennes wie ganz Frankreich im Mai Angst vor dem Wahlsieg einer offen fremdenfeindlichen Präsidentschaftskandidatin haben musste.
In Erlangen zeigen die Bürgerentscheide dieses Jahres, dass die Wahlberechtigten mit diesem Instrument sehr differenziert umzugehen wissen. Nach dem Bürgerentscheid zur Landesgartenschau, der ein sehr eindeutiges Ergebnis gebracht hat, stehen wir jetzt jedoch nach wie vor vor der Aufgabe, uns mit der künftigen Gestaltung des Großparkplatzes in anderer Weise auseinanderzusetzen, insbesondere schon aufgrund des maroden Parkhauses, des hohen Parkraumbedarfs der Unikliniken und der StUB-Planungen. Auch dabei gilt es, die Bürgerinnen und Bürger umfassend einzubeziehen.
Wir haben nicht nur mit der Einführung von Stadtteilbeiräten die Demokratie vor Ort gestärkt, sondern auch mit anderen Formen der Beteiligung wie dem Prozess für den Verkehrsentwicklungsplan, den kommenden Foren zur Planung der StUB, den kreativen Projekten unseres Theaters oder dem Kinderstadtplan. Doch wie lässt sich Beteiligung so gestalten, dass alle Interessen zu Wort kommen, wie verschaffen wir denjenigen Gehör, die sich bisher nicht beteiligen? Dem Widerstand, auf den wir bei dringend benötigten Wohnbauprojekten stoßen, können die Menschen, die selbst von Wohnungsnot betroffen sind, direkt wenig entgegensetzen. – Und was können wir gegen den Zusammenhang von Armut und Wahlenthaltung tun?
Unsere Stadt ist weit überwiegend von Toleranz geprägt, wir haben die Ausländerstelle zu einer Willkommensbehörde umgebaut, die referats-übergreifenden Ansätze zur Integration Geflüchteter sind beeindruckend, der Ausländer- und Integrationsbeirat genießt große Anerkennung – und doch muss es uns bedenklich stimmen, dass die AfD selbst in Erlangen 8 % der Stimmen erreicht, Ansätze zu fremdenfeindlicher und islamfeindlicher Stimmung erkennbar sind und unser Oberbürgermeister sich wie viele andere Kommunalpolitiker Drohungen ausgesetzt sieht.
2. Diversity/ Vielfalt:
Erlangen steht im bundesweiten Gender Ranking auf Platz 1, das Jubiläum der Gleichstellungsstelle im Januar hat gezeigt, welche beachtlichen Fortschritte in unserer Stadt für die Rechte der Frauen erreicht wurden, aber auch, dass Geschlecht nach wie vor eine wichtige Kategorie sozialer Ungleichheit ist. An der Spitze der Stadt und im Stadtrat sind Frauen in herausgehobenen Positionen längst eine Selbstverständlichkeit geworden, doch der Frauenanteil im neu gewählten Bundestag ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr – und das Ausmaß sexistischer Diskriminierung und sexueller Gewalt, das Frauen unter dem Hashtag MeToo offenlegen, betrifft zweifellos auch sehr viele Frauen in Erlangen. Anna Steinert-Neuwirth, neue Referentin für Bildung, Jugend und Kultur, die in diesem Jahr den allseits geschätzten Dieter Rossmeissl abgelöst hat, hat im November gemeinsam mit ihrer Frau ein starkes Zeichen für die Ehe für Alle gesetzt, wofür sie unseren Respekt verdient. Zweifellos ein Anlass zur Freude – doch zugleich haben in Deutschland Bewegungen Zulauf, die Homophobie propagieren. Mit der Beteiligung an dem Programm „Kommune Inklusiv“ und der ersten Toilette für Alle, dem Einsatz von Gebärdendolmetschen bei Veranstaltungen der Stadt und des Kulturreferats und mehr barrierefreien Gebäuden bauen wir die Behinderung, die viele Menschen durch die Gesellschaft erfahren, in kleinen Schritten ab – doch unser Stadtbild bleibt geprägt von Hindernissen und Exklusionsmechanismen, die gerade auch ältere Menschen betreffen.
3. Stadtentwicklung und Infrastruktur:
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, denen ich an dieser Stelle im Namen des Stadtrats ausdrücklich danken möchte, begleiten die kleineren und größeren Veränderungen in unserer Stadt, sie setzen die Projekte um, die der Stadtrat beschließt. Ohne ihre engagierte Arbeit, bei der sie häufig starker Belastung ausgesetzt sind, gäbe es trotz über 40 Millionen Investitionsmitteln im laufenden Haushalt und noch höheren Ansätzen im kommenden Jahr weder den Ausbau der Kinderbetreuung, die uns so sehr am Herzen liegt, noch den neuen Frankenhof, die Bürgerhäuser in Kriegenbrunn und Eltersdorf, Schulsanierungen oder den Neubau von Sporthallen, bei denen wir derzeit einen großen Schritt nach vorne machen – genauso wenig wie die gute Zusammenarbeit mit Siemens, der Universität und anderen Einrichtungen und Unternehmen oder für die Planung der Stadt-Umland-Bahn, die für die Entwicklungsperspektiven unserer Stadt unverzichtbar sind. Wir müssen uns kritisch fragen, ob wir uns der Bedeutung des städtischen Personals ausreichend bewusst sind – aber zugleich wissen wir, dass trotz derzeit hoher Steuereinnahmen die finanzielle Ausstattung der Kommunen absolut unzureichend ist. Es ist bitter, mit Blick auf Panama und Paradise Papers und die unzulängliche und ungerechte Steuergesetzgebung festzustellen, dass unsere Gewerbesteuerkraft viel zu gering ist und wir weder genügend Stellen schaffen noch genügend Mittel investieren können, um weitere wichtige Projekte jetzt anzugehen.
Auf unser vielfältiges und hochwertiges Kulturangebot in städtischen und privaten Einrichtungen, bei Festivals und in Vereinen können wir mit Recht stolz sein, mit dem neuen Frankenhof, der Zuschusserhöhung für das E-Werk und dem neu eröffneten Jugendtreff Innenstadt haben wir Erfolge erzielt – und doch haben wir immer wieder Mühe, es hinzunehmen und den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, warum der Umbau des Stadtmuseums, die Sanierung der Volkshochschule und des Theaters zum Teil noch viele Jahre auf sich warten lassen wird.
4. Nachhaltigkeit und Klimaschutz:
Über 15.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben im November eine eindringliche „Warnung an die Menschheit“ gerichtet: Unser Umgang mit den natürlichen Ressourcen droht unsere Lebensgrundlagen zu vernichten, wenn wir nicht sehr schnell grundlegend umsteuern. In unserer Stadt fördern wir nach Kräften Radverkehr und ÖPNV – doch die finanziellen Ressourcen der Kommunen reichen hier bei weitem nicht aus. Im Rahmen des Verkehrsentwicklungsplans zeigen die Gutachter uns auf, welch hohen Belastungen Teile unserer Innenstadt aufgrund des Motorisierten Individualverkehrs ausgesetzt sind, wirksame Lösungen sind aber bei den Gegebenheiten unseres Straßennetzes und angesichts des steigenden Autoverkehrs bisher nicht in Sicht. Wir leiden unter dem Mangel an freien Plätzen und Grundstücken für Gewerbe, Wohnungsbau und Erholung, doch Viele in unserer Stadt lehnen Einschränkungen des Parkens und des Autoverkehrs in der Innenstadt kategorisch ab. Unsere Stadtwerke treiben die Energiewende voran, doch auch sie lässt sich nicht allein auf kommunaler Ebene umsetzen. Wir haben ein Klimaanpassungskonzept verabschiedet, doch die Bundesrepublik hält ihre selbst gesetzten Ziele zum Klimaschutz nicht ein und eine große Industrienation verweigert sich internationalen Abkommen.
Zu weiteren Themen wie der Armutsbekämpfung, dem demographischen Wandel oder der kommunalen Bildungspolitik ließe sich Ähnliches sagen.
Ich möchte jedoch nun zum Schluss meiner Rede uns Allen Mut machen, uns – den Widersprüchen zum Trotz – weiterhin all diesen Herausforderungen zu stellen, weiter mit aller Kraft im Stadtrat, um gemeinsam mit der Stadtverwaltung und den Bürgerinnen und Bürgern an der Lösung der Probleme und der Gestaltung unserer Zukunft mitzuwirken. Gemeinsam können wir etwas verändern! Nutzen wir die Spielräume unserer demokratischen Gesellschaft und tragen wir unsere Vorschläge auch in die Ebenen von Land und Bund. „Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt“, schrieb vor vielen Jahren der Dichter Erich Fried. Die Zeit am Ende des Jahres bietet uns die Chance, frei von Terminzwängen nachzudenken, uns auf unsere Verantwortung und auch auf unsere Gemeinsamkeiten zu besinnen. Gerade zu dieser Zeit, wo wir uns gerade erst von Ralf Merkel, einem Mitglied unseres Gremiums, für immer verabschieden mussten, sollten wir innehalten, Menschlichkeit und Miteinander sollten im Vordergrund stehen.
Ihnen allen und Ihren Familien wünsche ich ein friedliches Weihnachtsfest.