Stellungnahme in der Stadtratssitzung am 27.10.2022
Dr. Philipp Dees, SPD-Fraktionsvorsitzender
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
wir fassen heute einen großen, einen historischen Beschluss. Denn heute machen wir den Schritt von dem ja erstmal rein deklaratorischen, niemandem etwas abverlangenden Beschluss, den Klimanotstand auszurufen hin dazu, mit aller Kraft in den Kampf gegen die Klimakatastrophe zu ziehen.
Wir nehmen heute den Maßnahmenkatalog Klima-Aufbruch mit seinen 41 Maßnahmen an. Und wir tun das in dem Wissen, dass wir damit uns, unsere Stadtgesellschaft einer riesigen Herausforderung und ja, auch einer riesigen Zumutung aussetzen.
Denn diese Maßnahmen, die wir heute beschließen: Die werden das Leben in unserer Stadt verändern. Es wird Menschen abverlangen, Gewohnheiten zu verändern; es wird die Art, wie wir leben, wirtschaften, Arbeiten, wohnen, konsumieren, unsere Freizeit gestalten, verändern.
Ich, wir sind überzeugt: Das wird eine Veränderung zum Guten sein. Wir sind überzeugt: Wir werden diesen Wandel schaffen. Und wir werden diesen Wandel so schaffen, dass alle mitkommen und niemand überfordert wird.
Aber wir wissen eben auch: Dieser Wandel ist für viele in unserer Stadt mit Ängsten verbunden. Weil er tief in ihr Leben eingreift. Weil er sich mit Ängsten verbindet, den Betrieb, den man führt, nicht halten zu können. Mit Ängsten, den Arbeitsplatz zu verlieren. Sich Wohnen nicht mehr leisten zu können. Immer weniger vom Leben, immer weniger Lebensqualität zu haben. Die zahlreichen Stellungnahmen, die wir in den letzten Tagen erhalten haben und die Gespräche, die wir geführt haben, haben nochmal gezeigt, wie verbreitet solche Sorgen sind – erlauben Sie mir allerdings die Randbemerkung: Bei einigen, die geschrieben haben, gerade bei einem Erlanger Landespolitiker, hätte ich erwartet, dass sie auch zu dem schreiben, was wir heute beschließen und nicht über Dinge polemisieren, die gar nicht zur Abstimmung stehen.
Weil es diese Ängste und Sorgen gibt, ist es nicht damit getan, heute einen Beschluss zu fassen, den Maßnahmenkatalog anzunehmen. Sondern es wird darum gehen, bei der Umsetzung der Maßnahmen in den nächsten Jahren die Menschen in unserer Stadt mitzunehmen, zu kommunizieren, zu überzeugen, Härten abzufedern, Lösungen für akute Probleme und Überforderungen zu finden.
Wir sind überzeugt: Wir werden das Schaffen. Gemeinsam in einer solidarischen Stadtgesellschaft. Auch die zahlreichen Stellungnahmen, die uns auffordern, voranzugehen, zeigen das.
Wir treffen heute diesen Beschluss aber auch vor dem Hintergrund harter Realitäten. Dazu gehört: Wir haben als Stadt, als für die Stadt handelnde Akteur*innen nicht die Mittel und Instrumente zur Verfügung, um das 1,5-Grad-Ziel aus eigener Kraft zu erreichen.
Das gilt für den Rechtsrahmen.
Aber es gilt – leider – auch für unsere finanziellen Möglichkeiten. Denn die Stadt hat nicht beliebig Finanzmittel zur Verfügung. Sie kann auch nicht beliebig Kredite aufnehmen, und sie kann auch keine Sondervermögen neben dem Haushalt schaffen. Denn selbst wenn wir das wollten: Die Stadt ist an geltendes Haushaltsrecht gebunden. Und das sagt eben auch: Ein Haushalt muss von der Regierung genehmigt werden. Und die setzt Grenzen.
Und deshalb müssen wir anerkennen: Wir können nicht sofort alle Maßnahmen des Maßnahmenkatalogs umsetzen. Wir müssen Entscheidungen treffen. Wir müssen priorisieren.
Und ja: Wir wissen, das ist unzureichend. Wir wissen, dass die Stadt eigentlich mehr tun müsste. Und wir erwarten deshalb, dass Bund und Land endlich ebenso entschlossen handeln, wie wir das tun wollen, und dass sie uns den Rahmen erweitern, in dem wir handeln können.
Und so lange das nicht passiert, werden wir alles tun, alle Kräfte und Ressourcen bündeln, um alles zu tun, was uns möglich ist.
Das wird auch für uns, für unsere Stadtverwaltung, Konsequenzen haben. Denn für den Klimaschutz, für die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs in den nächsten Jahren die notwendigen Haushaltsmittel und Personalstellen bereitzustellen bedeutet auch: Wir werden an vielen anderen Stellen, bei vielen anderen Themen nicht das tun können, was wir gerne möchten und was notwendig wäre. Die Servicequalität an vielen Stellen der Stadtverwaltung wird schlechter werden, weil wir die Stellen nicht werden schaffen können, die notwendig wären, um den Bedarf einer wachsenden Stadt zu erfüllem. Sport-, Freizeit-, Kulturvorhaben werden sich verzögern, weil Menschen und auch Haushaltsmittel für die Umsetzung fehlen werden. Es wird Unzufriedenheit und Überforderung bei unseren Mitarbeiter*innen geben, denen wir abverlangen, bei größer werdenden Aufgaben zumindest das Notwendige zu tun – und in der Kritik zu stehen, weil sie Erwartungen nicht erfüllen können. Und vieles mehr. Diese Realitäten werden wir ganz konkret bei den Haushaltsberatungen, bei den Stellenplanberatungen für das kommende Jahr und dann auch in den Folgejahren merken.
Wahrheit und Klarheit erfordert, das auch zu sagen: Wenn man den Kampf gegen die Klimakatastrophe zur obersten Priorität macht, dann muss man auch bereit sein, andere Dinge zurückzustellen.
Aber: Auch dabei gibt es Grenzen. Ganz selbstverständlich müssen wir dafür sorgen, dass die Stadtverwaltung die Aufgaben, zu denen sie rechtlich verpflichtet ist, auch wahrnehmen kann.
Und weil die Klimakatastrophe zwar die größte, langfristigste, bedrohlichste, aber eben nicht die einzige Katastrophe ist, mit der wir zu tun haben, müssen wir auch in anderen Feldern handeln: Niemand kann doch ernsthaft wollen, dass wir den Menschen, die endlich Anspruch auf das neue Bürgergeld oder auf Wohngeld bekommen und die dies angesichts der Energie- und Lebensmittelpreiskrise so dringend brauchen, diese Geld nicht auszahlen können – weil wir die Sachbearbeiter*innen nicht eingestellt haben. Niemand kann ernsthaft wollen, dass die KiTas, die in den kommenden Jahren fertiggestellt werden, nicht eröffnen, wir die Eltern aus der Berufstätigkeit treiben, weil wir die notwendigen Erzieher*innen-Stellen nicht geschaffen haben – und damit, nur nebenher, noch den Fachkräftemangel verstärken, der uns beim Kampf gegen den Klimawandel genauso wie z.B. beim Pflegenotstand jetzt schon massiv einschränkt. Dass soziale, soziokulturelle Einrichtungen in unserer Stadt in ihrem Bestand gefährdet werden, weil wir höhere Energie- und Betriebskosten nicht abfedern. Dass wir die Menschen, die vor Krieg, Gewalt und übrigens auch vor den Folgen der Klimakatastrophe in unsere Stadt fliehen, hier nicht willkommen heißen, ihnen keine Unterkunft, Betreuung, Integrationsleistungen zur Verfügung stellen.
Wenn wir das täten, dann könnten wir zwar mehr gegen die Klimakatastrophe tun. Aber wir würden den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt in einer Form gefährden, die die politische Stabilität und in der Folge dann eben auch genau diesen Kampf gegen den Klimawandel bedroht.
Deshalb ist das keine Option. Und ja: Das beschränkt uns schon wieder in unseren Möglichkeiten. Aber man kann nur zu einer anderen Haltung kommen, wenn einem entweder sozialer Zusammenhalt egal ist – was für keine der demokratischen Gruppierungen hier in unserem Stadtrat gilt. Oder wenn man die Realität, die Zwänge, in denen unsere Stadt arbeiten muss, einfach ignoriert.
Das aber ist keine seriöse, es ist keine verantwortliche Politik.
Und deshalb: Weil wir den Kampf gegen die Klimakatastrophe mit aller Kraft, aber auch mit aller Ehrlichkeit führen wollen: Deshalb beschließen wir heute auch, in den 41 Maßnahmen zu priorisieren. Deshalb wählen wir heute die 12 Maßnahmen aus, von denen wir überzeugt sind, dass sie uns beim Kampf gegen den Klimanotstand besonders schnell und besonders effektiv voranbringen. Maßnahmen, von denen auch eine Vorbildfunktion für andere, private Akteur*innen in unserer Stadt ausgehen kann – damit auch diese handeln und damit der Effekt unserer Maßnahmen verstärkt wird. Genau deshalb sind sie ja auch schon von Bürger*innenrat und Stakeholdern als „Leuchtturmmaßnahmen” identifiziert worden.
Diese 12 Maßnahmen zu priorisieren heißt nicht, die anderen zu verwerfen. Wir werden in den kommenden Jahren alle Spielräume, die sich uns eröffnen nutzen, um weitere Maßnahmen umzusetzen. Wir werden bei den Maßnahmen, wo wir nicht zu einer Umsetzung kommen können, suchen – und ich bin überzeugt: auch finden – auf welchen alternativen Wegen wir die damit verbundenen Ziele erreichen können. Und wir werden natürlich auch all das fortführen und wo immer möglich verstärken, was wir schon auf den Weg gebracht haben: Das CO2-Minderungsprogramm für private Gebäude; die Stärkung des Radverkehrs; den Ausbau des ÖPNV und die Planung der Stadt-Umland-Bahn; den Weg zur Biostadt und zur nachhaltigen Beschaffung; um nur einige Beispiele zu nennen.
Und nochmal: Ja, wir wissen, das ist unzureichend. Auf Basis dieser bestehenden und der 12 nun priorisierten Maßnahmen werden wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen, werden wir das Klima-Restbudget für Erlangen reißen.
Und weil wir das wissen, aber eben auch ehrlich mit den Grenzen, die unserem Handeln gesetzt sind umgehen, stellen wir den 12 Maßnahmen, zwei weitere zur Seite: Die Öffentlichkeitsarbeit, um mehr Menschen in unserer Stadt für den Kampf gegen den Klimanotstand zu begeistern, um Menschen, Akteur*innen, Unternehmen zu gewinnen, auch selbst mit ihren Mitteln und Möglichkeiten alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Und vor allem auch das Einwirken auf Bundes- und Landespolitik: Denn dort muss der Rahmen erweitert werden, in dem wir handeln können. Und dort muss endlich genauso konsequent der Kampf gegen den Klimanotstand oberste Priorität haben, wie wir das tun werden.
Wir treffen heute einen historischen Beschluss. Wir gehen die größte Herausforderung unserer Zeit, die größte Herausforderung für die Menschheit, entschlossen an. Wir kommen heute aus dem Bekenntnis, die Klimakatastrophe bekämpfen wollen, zum ganz konkreten Handeln.
Vor uns liegt damit eine riesige Herausforderung, ein Berg von harter Arbeit und mühsame Jahre. Vor uns liegt die große Aufgabe, die Menschen auf diesem Weg mitzunehmen, sie zu eigenen Handeln zu motivieren und zu befähigen, ihnen Ängste vor der Veränderung zu nehmen, Härten abzufedern und existenzielle Bedrohungen zu beseitigen. Und die Herausforderung, das nicht nur heute zu tun, sondern die ganzen nächsten Jahre aufrecht zu erhalten.
Wir sind überzeugt: Wir können, wir werden das schaffen – es bleibt uns ja auch gar nichts anderes übrig, wenn wir als Menschheit überleben wollen. Und wir sind überzeugt: Die Zukunft, die vor uns liegt, ist nicht nur eine andere Welt – sie ist vor allem auch eine bessere, eine ökologischere und eine sozialere Welt.
In diesem Sinne: Auf in den Kampf!